«Es geht um Vertrauens­bildung und Beziehungs­aufbau»

Volunteering-Einsatz im Caritas-Projekt «incluso»: Zwei Mitarbeitende der Zürcher Kantonalbank haben als Mentoren Jugendliche mit Migrationshintergrund bei der Lehrstellensuche unterstützt.

Interview: Martina Högger / Bilder: Simon Baumann

Marc Heusser und Sabina Zulji
Marc Heusser, IT-Coach, und Sabina Zulji, Kundenberaterin Berufliche Vorsorge.

Weshalb haben Sie sich dafür entschieden, Mentorin beziehungsweise Mentor für einen Jugendlichen beziehungsweise eine Jugendliche zu werden?

Sabina Zulji: Ich habe damals den Aufruf im Intranet gelesen und gedacht, da mache ich mit. Wir sind vier Geschwister, ich bin die älteste; sich gegenseitig zu unterstützen ist für mich von Haus aus selbstverständlich. Ich wollte weitergeben, was mir daheim gelehrt wurde. Deshalb habe ich mich für meinen Corporate-Volunteering-Einsatz bei der Caritas Zürich für das Projekt «incluso» beworben. Und ich bin sehr froh, dass ich es gemacht habe.

Marc Heusser: Bei mir war es sehr ähnlich. Ich habe als Coach bei «IT Next Generation» täglich mit Jugendlichen zu tun und weiss deshalb, was sie in dieser und jener Lebensphase bewegt. Die Bewerbungen, die wir bei der ZKB für Informatikberufe erhalten, stammen tendenziell von Jugendlichen, die gut begleitet werden und entsprechend einen Vorteil gegenüber Jugendlichen haben, die diese Begleitung durch das Elternhaus nicht haben. Ich habe mich für meinen Freiwilligeneinsatz bei der Caritas Zürich beworben, um genau diesen Jugendlichen zu helfen.

Corporate-Volunteering-Programm der ZKB

Im Sinne ihres Leistungsauftrags engagiert sich die Zürcher Kantonalbank unter anderem auch mit einem Corporate-Volunteering-Programm. Dieses ermöglicht es jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter, bis zu zwei Arbeitstag pro Jahr gemeinnützig einzusetzen. Wir porträtieren Sabina Zulji und Marc Heusser, welche bei der Initiative «incluso» der Caritas Zürich als Mentoren Jugendliche mit Migrationshintergrund bei der Lehrstellensuche erfolgreich unterstützt haben.

Können Sie uns erzählen, wie ein typisches Treffen mit Ihrem Mentee abgelaufen ist?

Sabina Zulji: Unsere Treffen fanden an öffentlichen Orten, beispielsweise in einem Park, statt. Ziel war es, die Bedürfnisse und Wünsche der Mentee abzuholen. Ich wollte sie als Menschen kennenlernen und erfahren, wie es ihr geht und wo ich sie, abgesehen vom Bewerbungsprozess, allenfalls sonst noch unterstützen kann, wo sie steht und was sie bewegt. So konnten wir eine Beziehung zueinander aufbauen. An unseren Treffen haben wir ihren Lebenslauf angeschaut und besprochen, wo man ihn verbessern oder ergänzen könnte. Als es dann ans Bewerben ging, haben wir den Stand der jeweiligen Bewerbungen angeschaut und das weitere Vorgehen besprochen.

Marc Heusser: Wir haben jeweils geschaut, dass der Treffpunkt für uns beide günstig ist, und haben uns beispielsweise in der Pestalozzi-Bibliothek in Oerlikon oder in unseren Büroräumlichkeiten in der Hard getroffen. Ein Treffen hat jeweils zwischen 60 und 90 Minuten gedauert. Meist haben wir zuerst ein bisschen Smalltalk gemacht und anschliessend geschaut, wo er im Bewerbungsprozess steht. Ein schöner Vertrauensbeweis: Ein Mentee war einmal so nervös, dass er an einem Sonntag vorher mit mir ein Vorstellungsgespräch üben wollte. Diesen Gefallen habe ich ihm dann getan.

Sabina Zulji, Kundenberaterin Berufliche Vorsorge

Wir haben auch an persönlichen Themen gearbeitet, wie beispielsweise am Durchhaltewillen.

Sabina Zulji, Kundenberaterin Berufliche Vorsorge

Gab es Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit Ihrem Mentee, welche Sie gemeinsam bewältigt haben?

Sabina Zulji: Meine Mentee hatte wenig Unterstützung von zu Hause; es fehlten ihr beispielsweise die finanziellen Mittel für den geforderten Multicheck. Letztendlich konnte sie ihn trotzdem absolvieren, doch wegen starker Prüfungsangst schnitt sie nicht gut ab. Der Multicheck ist ein Eignungstest, mit welchem unterschiedliche Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern geprüft werden, die für eine Lehrstelle relevant sind; kognitive Fähigkeiten, Schulwissen oder die Fähigkeit, logische Zusammenhänge zu erkennen und ein rasches Denkvermögen zu beweisen, sind gefragt. Dieser Eignungstest muss in vielen Unternehmen der Bewerbung auf eine Stelle beigelegt werden – für eine KV-Lehrstelle ist die Multicheck-Absolvierung quasi verpflichtend. Die Herausforderung lag für mich auch darin, meine Mentee bei einem negativen Bescheid erneut zu motivieren und aufzubauen: So haben wir uns den Plan zurechtgelegt, Bewerbungen an Unternehmen zu schicken, bei denen der Multicheck nicht zwingend beigelegt werden musste und wir haben den Fokus auf nach den Aufnahmeprüfungen ans Gymnasium im März gelegt, um nochmals einen Anlauf zu nehmen. Letztlich hat sie dann eine wunderbare KV-Lehrstelle gefunden.

Marc Heusser: Bei mir war die Herausforderung, dass mein Mentee mir zu Beginn nicht in die Augen sehen konnte. Ich habe ihm vermittelt, wie wichtig dies aber sei, dass wir uns auf Augenhöhe begegnen und er vor mir beziehungsweise vor Interviewpartnern an einem Vorstellungsgespräch keine Angst zu haben braucht. Wir tauschten dann die Rollen. In einer Situation habe ich vor mir auf die Tischkante geschaut und in der nächsten ihm direkt in die Augen; danach fragte ich ihn, welche Situation er besser fand. So konnten wir schrittweise daran arbeiten und seine Situation verbessern.

Inwiefern hat Ihnen Ihr beruflicher Werdegang dabei geholfen, Ihr Mentee zu unterstützen?

Sabina Zulji: Ich selbst habe eine kaufmännische Lehre bei einer Versicherung absolviert und auch meine Mentee hat letztendlich eine KV-Lehrstelle bei einer Versicherung erhalten – unser Werdegang bis zum Lehrabschluss ist also identisch. Entsprechend konnte ich mich gut in sie hineinversetzen und ihr helfen.

Marc Heusser: Da ich in meinem beruflichen Alltag selbst Jugendliche rekrutiere, kann ich ihnen gut vermitteln, auf was sie achten sollen, wenn sie sich bewerben. Ich kann deshalb auch die Skills der Jugendlichen erkennen. Mein Mentee sagte anfangs, er wolle unbedingt Informatiker lernen. Ich spürte jedoch, dass dieser Wunsch weniger von ihm selbst kam. Irgendwann erzählte er dann, dass er als Kind einmal in einem Laden 90 Sekunden lang so viel Spielzeug sammeln durfte, wie er tragen konnte. Er erzählte, dass er fast ausschliesslich Legotechnik-Artikel sammelte. Ich fragte ihn, weshalb er sich für Legotechnik entschied, und er antwortete, dass er einfach gern Dinge zusammenbaue. Ich bestärkte ihn daraufhin darin, etwas zu wählen, was er gern macht, nämlich Dinge zusammenzubauen und zu erschaffen. Es half, er erkannte, dass eine Informatiklehre zwar gut ist, aber er sich für eine Ausbildung entscheiden sollte, die ihm selbst, also seinen Interessen und Fähigkeiten entspricht. Letztendlich hat er sich dann für eine Ausbildung als Automatiker entschieden.

Marc Heusser, IT-Coach Zürcher Kantonalbank

Ich habe versucht, Sicherheit zu vermitteln und das Selbstvertrauen des Mentee zu stärken.

Marc Heusser, IT-Coach

Welche Erfahrungen konnten Sie Ihrem Mentee mit auf den Weg gegeben?

Sabina Zulji: Zum einen sicher Skills, wie man eine Bewerbung schreibt. Und dann das strategische Vorgehen im Bewerbungsprozess: Im Vorfeld haben wir verschiedene Unternehmen und deren Werte zusammen analysiert und geschaut, wie die Kandidatin und das Unternehmen zusammenpassen könnten. Wir haben auch an persönlichen Themen gearbeitet, wie beispielsweise am Durchhaltewillen, welcher eher gering ausgeprägt schien. Entsprechend lag es an mir, den Kontakt aufrechtzuerhalten und immer wieder nachzufragen und zu pushen. Auch dies gehört zur Aufgabe als Mentorin oder Mentor dazu: Wir haben dieses gemeinsame Ziel, eine Lehrstelle zu finden, da bleibt man gern dran. Dies hat sich am Ende ausgezahlt, meine Mentee hat sich mir gegenüber sehr geöffnet und war letztendlich sehr dankbar für die Unterstützung.

Marc Heusser: Bei mir waren es vor allem Themen im Zusammenhang mit dem Vorstellungsgespräch. Ich gab ihm Tipps, wie er sich mit dem Unternehmen auseinanderzusetzen habe; ich riet ihm, sich die Namen der Ansprechpersonen zu merken, Stift und Papier an das Vorstellungsgespräch mitzubringen und sich das Wichtigste zu notieren. Und wie bereits erwähnt, versuchte ich ihm die nötige Sicherheit zu vermitteln, sein Selbstvertrauen zu stärken. Ich habe ihn immer wieder darin bestätigt, dass er ein guter Mensch und Schüler ist, dass er deshalb auch zu den Vorstellungsgesprächen eingeladen werde.

Als Sie in einem ähnlichen Alter waren: Wie wurdem Sie unterstützt bei der Suche nach einer geeigneten Anschlusslösung an die obligatorische Schulzeit?

Sabina Zulji: In Bezug auf den Bewerbungsprozess an sich wurden wir von unseren Lehrpersonen unterstützt. Wir haben gelernt, wie man einen CV erstellt und Motivationsschreiben formuliert und wurden auf Eignungstests wie den Multicheck vorbereitet. Doch die viel grössere Unterstützung erhielt ich daheim: Wie ziehe ich mich für ein Vorstellungsgespräch an, wie wirke ich nach aussen? Hier standen mir meine Eltern mit Rat zur Seite. Als ich mich einst für eine Lehrstelle bewarb, wurden noch physische Bewerbungsmappen verwendet.

Marc Heusser: Die grösste Unterstützung habe ich von meinen Eltern erhalten. Meine Eltern haben mir dabei geholfen und mich motiviert, mich adäquat auf die Vorstellungsgespräche und Aufnahmetests vorzubereiten. Das Administrative an sich hatte ich gut im Griff.

Was haben Sie persönlich von Ihrem Volunteering-Einsatz für sich mitgenommen?

Marc Heusser: Sabina hat es am Anfang sehr schön gesagt: Es geht um den Aufbau einer guten Beziehung mit einem jungen Menschen durch den Aufbau von Vertrauen. Dies wird erreicht, indem man von seinen eigenen Fehlern und Erfahrungen berichtet, eigene Learnings weitergibt und dem Jugendlichen ein positives Gefühl gibt; Hey ich verstehe dich, ich war auch einmal in dieser Situation und kann dir deshalb helfen. Ist dieser Vertrauensaufbau einmal gelungen, packt man das «Projekt» Lehrstellensuche an, was mit einer Vertrauensbasis leichter fällt.

Sabina Zulji: Diesen Aussagen von Marc stimme ich zu 100 Prozent zu. Ich möchte ergänzen: Mir war bewusst, dass es Jugendliche gibt, die vom Elternhaus wenig Unterstützung erfahren. Was dies jedoch bedeutet, wurde mir erst bewusst, als ich Mentorin im Programm «incluso» von Caritas Zürich wurde. Meine Mentee kam anfangs ohne Laptop an unsere Treffen, weil sie keinen eigenen Laptop besass – ab und zu durfte sie den ihrer Schwester nutzen. Bis dahin war es für mich selbstverständlich, dass man in diesem Alter die entsprechenden Arbeitsmittel, wie beispielsweise einen Laptop, zur Verfügung hat. Ich habe insofern mitgenommen: Was die einen für selbstverständlich erachten, ist für andere Menschen alles andere als normal.