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«Immobilien aktuell»: Seit 2010 wurde in der Schweiz trotz Baubewilligung jede zehnte Wohnung wegen Einsprachen nicht realisiert

Medienmitteilung vom 18. April 2023

  • Wohnungsnot in der Schweiz: Die neuste Studie des Immobilienresearchs der Bank bietet datenbasierte Fakten und Analysen zur aktuellen Diskussion
  • Neubau als Hürdenlauf: Vom Baugesuch bis zur Baubewilligung dauert es heute viel länger als 2010, bereits baubewilligte Projekte fallen regelmässig Rekursen zum Opfer
  • Trotz wenig Wohnungen und hohen Mieten steigt der Familienanteil in der Stadt Zürich
  • Die neue Energieetikette des Bundes schafft Transparenz, aber mit Kinderkrankheiten

Während die Bevölkerung aufgrund der Zuwanderung kräftig wächst, werden heute rund ein Viertel weniger Neubauwohnungen geplant als noch vor wenigen Jahren. Das zeigt die neuste Studie des Immobilienresearchs der Zürcher Kantonalbank. «Wird bei der Bautätigkeit nicht das Steuer herumgerissen, laufen wir in der Schweiz sehenden Auges in eine Wohnungsnot», sagt Ursina Kubli, Leiterin des Immobilienresearchs der Bank. Gerade weil die drohende Wohnungsnot im Wahljahr emotional diskutiert wird, sind datenbasierte Fakten und Analysen wichtig. Diese Grundlagen bietet die neueste Ausgabe der Studie «Immobilien aktuell» der Zürcher Kantonalbank.

Das Wohnungsangebot hinkt hinterher, weil der Bausektor trotz Anlagenotstand in den letzten Jahren weniger Baugesuche eingereicht hat – dies teilweise als Reaktion auf die hohen lokalen Leerstände vor wenigen Jahren. In Gemeinden mit einer Mietwohnungsleerziffer von über 2,5% liegen die Baugesuche ein Viertel tiefer als 2019. Doch auch in Gemeinden mit knappem Mietwohnungsangebot wurden weniger Wohnungen geplant. Das Problem sind die baulichen Rahmenbedingungen: Zwar sind alle für Verdichtung, aber nur solange sie nicht vor der eigenen Haustüre stattfindet. In der Folge ist der Neubau zu einem regelrechten Hürdenlauf geworden. Eine wachsende Zahl an Auflagen führt zu Ehrenrunden in der Bauplanung, was die Bewilligungsdauer verlängert. Vom Baugesuch bis zur Baubewilligung dauert es heute im Landesschnitt 140 Tage – das sind 67% mehr als noch 2010. Je dichter besiedelt, desto länger die Verzögerung. Im urbanen Kanton Zürich sind es fast 200 Tage, in der Stadt Zürich ist die Zeitspanne gegenüber 2010 um 136% auf knapp ein Jahr gestiegen. Am längsten dauert es hierzulande mit 500 Tagen im Kanton Genf.

Einsprachen als fünfte Landessprache

Ist mit der erteilten Baubewilligung endlich eine grosse Hürde überwunden, steht schon die nächste an: Denn jetzt können Projekte aufgrund erfolgreicher Rekurse gekippt werden – und das bis zur letzten Minute. «Einsprachen werden nicht umsonst als fünfte Landessprache bezeichnet», sagt Kubli. Um zu sehen, wie oft dies geschieht, hat das Immobilienresearch sämtliche bewilligte Wohnungsneubauprojekte seit 2010 untersucht und analysiert, ob tatsächlich ein neues Wohngebäude entstanden ist. Das Ergebnis: Seither wurde in der Schweiz trotz Baubewilligung jede zehnte Wohnung nicht realisiert, wodurch dem Mietwohnungsmarkt jährlich rund 4'000 Wohnungen fehlen – Tendenz steigend. Ein Grund ist die rigide Umsetzung der Lärmschutzbestimmungen. In diesem Hürdenlauf sind grössere Akteure gegenüber Privaten im Vorteil, da sie ihre Ressourcen bei einer Blockade auf andere Projekte lenken können. «Der künftige Fokus der Politik sollte klar auf dem Abbau von Hürden liegen», sagt Kubli. So wird etwa die Abschwächung der Lärmschutzbestimmungen bereits diskutiert. «Man wird aufpassen müssen, dass im Gegenzug nicht andere Einsprachegründe wie etwa das Ortsbild vermehrt Gewicht erhalten.»

Angesichts der hohen Nachfrage sollten die Baugesuche nicht sinken, sondern müssten im Gegenteil stärker steigen als früher. Dies, weil heute immer weniger auf der grünen Wiese gebaut wird, sondern für das verdichtete Bauen vermehrt alte Immobilien abgerissen werden. Das führt dazu, dass es in der Schweiz heute 119 neue Wohnungen braucht, damit der Bestand netto um 100 steigt. Im Kanton Zürich sind es sogar 144 Neubauwohnungen. Hinzu kommt, dass aufgrund der demographischen Entwicklung wie der zunehmenden Alterung und der Individualisierung der Gesellschaft immer mehr Personen allein wohnen.

Mehr Familien in der Stadt

Familien haben es seit langem schwer, in grossen Städten eine bezahlbare Wohnung zu finden. Mitte 2022 betrug die Leerwohnungsziffer etwa in der Stadt Zürich gerade einmal 0,07%. Entsprechend hoch sind die Mieten. Die Studie des Immobilienresearchs zeigt nun aber, dass dies in der Stadt Zürich – anders als vermutet – nicht dazu führt, dass Familien verdrängt werden – im Gegenteil: Deren Anteil hat in der Stadt von 2014 bis 2021 gar um 1,3 Prozentpunkte von 18,4% auf 19,7% zugenommen – am stärksten in Wollishofen, Fluntern und Albisrieden.

Dass die Städte für Familien trotz hoher Mieten und engen Verhältnissen so attraktiv sind, hat laut Studie drei Gründe: «Erstens profitieren sie von kürzeren Pendelwegen und zweitens von einer besseren Infrastruktur etwa bei Betreuung, Kultur und Sport. Drittens bleiben viele Familien in der Stadt, weil sie sich durch die starke Zunahme der Immobilienpreise – anders als früher – kein Wohneigentum auf dem Land mehr leisten können», sagt Kubli. Von 2014 bis 2021 sank der Anteil der Familien, die in einem Haus wohnen von 27,6% auf 23,8%. Für einkommensschwächere Familien bieten in der Stadt insbesondere Genossenschaften bezahlbare Wohnungen. Doch darin unterzukommen, ist bekanntlich vergleichbar mit einem Lotteriegewinn und längst nicht für alle möglich. Heute befindet sich in der Stadt Zürich ein Viertel aller Wohnungen im Eigentum gemeinnütziger Wohnbauträgerschaften. Der Stadtrat möchte den Anteil preisgünstiger Wohnungen bis 2050 auf einen Drittel erhöhen. «Bleibt die bestehende Bautätigkeit auf heutigem Niveau, müssten ab jetzt ungefähr 70% aller jährlichen neugebauten Wohnungen gemeinnützig sein. Das ist kaum zu schaffen», sagt Kubli. «Anstatt auf das Drittelziel sollte sich die Politik darauf fokussieren, überhaupt wieder Neubauprojekte zu ermöglichen.»

Wert der Wohnsicherheit steigt

Aufgrund der Zinswende bezahlen Käufer im Durchschnitt wieder mehr fürs Wohnen als Mieter – dafür erhalten sie etwas, das in Zeiten der Wohnungsknappheit umso wertvoller wird: Wohnsicherheit. Frisch aktivierte Suchabonnements zeigen, dass die Zahlungsbereitschaft für Eigenheime weiterhin hoch ist. Dass weiterhin Konkurrenz zwischen den Eigenheimsuchenden besteht, sorgt für Stabilität. «Die Abkühlung des Immobilienmarkts drückt zwar immer mehr durch, aber sie erfolgt kontrolliert», sagt Ursina Kubli.

Neue Energieetikette des Bundes mit Kinderkrankheiten

Im März 2023 hat der Bund auf seinem Kartenportal erstmals für alle Wohngebäude des Landes eine Energieetikette publiziert, wie wir sie bereits von Kühlschränken kennen. Die Energieetikette zeigt für jedes Gebäude, wie hoch dessen CO2-Ausstoss ist – vom grünen A (keine Emissionen) bis zum roten G (>25 kg/m2 pro Jahr). «Das Rating schafft Transparenz, was auf dem Weg zu einem emissionsfreien Gebäudepark sehr wichtig ist», sagt Jörn Schellenberg, Leiter GIS-Analysen bei der Zürcher Kantonalbank. «Es handelt sich dabei aber noch um ein vereinfachtes Modell mit ein paar Kinderkrankheiten.»

So hängt das Rating fast nur vom Heizungstyp ab: Gebäude mit Ölheizungen landen als grösste CO2-Emittenten fast immer in der schlechtesten Klasse. Bei Gebäuden mit Gasheizungen schaffen es immerhin die wenigen Neubauten in eine bessere Klasse. Die insgesamt 40% des Schweizer Gebäudeparks mit fossilfreien Heizungen (Wärmepumpe, Fernwärme, Holz etc.) gelten als klimaneutral (Rating A). Trotz der grossen Bedeutung beruhen die Informationen über den Heizungstyp teilweise auf veralteten Daten aus dem Gebäude- und Wohnungsregister: So stammt schweizweit betrachtet knapp die Hälfte der Heizungsangaben noch aus der Volkszählung vom Jahr 2000 – und das bei einer durchschnittlichen Lebensdauer von Öl- und Gasheizungen von 20 bis 25 Jahren. Viele Eigentümer dürften ihre Heizung bereits durch eine klimafreundliche ersetzt haben. Zudem berücksichtigt der Bund keine bereits erfolgten Sanierungsmassnahmen, da dem Bund diese Daten fehlen. Tatsächlich dürften viele Gebäude energieeffizienter sein, als ihr Baujahr vermuten lässt.

Eine Berechnung des Immobilienresearch zeigt, dass, würden sämtliche Gebäude des Landes vollständig saniert, sich der CO2-Ausstoss um 80% verringerte. Insgesamt betrachtet, verbesserte sich der Wohngebäudepark dadurch vom Rating G auf
ein C. «Da der Einfluss der CO2-Emissionen auf den Preis beim Immobilienkauf und -verkauf wichtiger wird, sollten Hausbesitzer falsche Heizungsangaben bei den örtlichen Behörden melden. Zudem wäre es gut, wenn der Bund möglichst rasch Sanierungen berücksichtigt», sagt Schellenberg.