Zuerst prüfen, dann entscheiden
Eine hohe Hypothek kann eine emotionale Belastung sein. Vor der Reduzierung der Immobilienschulden durch eine freiwillige Amortisation sollten aber alle Optionen in einer Gesamtschau abgewogen werden. Wir helfen Ihnen dabei mit einer Schritt-für-Schritt-Analyse.
Text: Patrick Steinemann / Illustrationen: Maria Salvatore | aus dem Magazin «Meine Vorsorge» 3/2024
Der Blick aufs Schuldenverzeichnis und die Fälligkeitsanzeigen von Hypotheken lassen kaum eine Immobilienbesitzerin oder einen -besitzer kalt. Denn die Verschuldung ist unter Umständen grösser als die Konto- und Wertschriftenguthaben. Diese emotionale Belastung versteht auch Roman Brandenburger, Finanzplaner bei der Zürcher Kantonalbank: «Der Wunsch vieler Kundinnen und Kunden, ihre Hypothek falls möglich freiwillig zu amortisieren, ist absolut nachvollziehbar.» Er plädiert jedoch dafür, der subjektiven Sicht eine objektive Analyse gegenüberzustellen: «Nur so können Missverständnisse ausgeräumt und Fehlannahmen korrigiert werden.» Vor dem Entscheid, eine Hypothek freiwillig über das vertragliche Minimum hinaus zu reduzieren, empfiehlt Brandenburger ein Vorgehen in sechs Schritten.
1 – Schauen Sie Ihre Immobilien-Finanzierung und die Amortisationspflicht an.
Banken gewähren für den Erwerb eines Eigenheims üblicherweise eine Hypothek bis zu 80 Prozent des Liegenschaftswertes; die restlichen 20 Prozent sind als Eigenmittel gefordert. Innerhalb von 15 Jahren, spätestens aber bis zur Pensionierung, sollte die Hypothekarschuld auf zwei Drittel des Objektwertes reduziert werden – es besteht somit eine Amortisationspflicht.
Als Faustregel gilt, dass die jährlichen Wohnkosten – also die kalkulatorischen Hypothekarzinsen von fünf Prozent, die Amortisationsrate sowie die Unterhalts- und Nebenkosten – ein Drittel des verfügbaren Einkommens nicht übersteigen sollten. Ist die Amortisationspflicht erfüllt, entspricht das dem Zielbereich der ZKB. «Die Bank gibt dann auf Wunsch ein schriftliches Versprechen, dass die Hypothek auch nach der Pensionierung lebenslang fortgesetzt wird», erklärt Roman Brandenburger.
Missverständnisse sollten möglichst ausgeräumt und Fehlannahmen korrigiert werden.
Roman Brandenburger, Finanzplaner
2 – Verschaffen Sie sich einen Überblick über Ihre Vermögensstruktur.
Die Struktur des privaten Vermögens setzt sich einerseits aus den frei verfügbaren Mitteln zusammen, also den Kontoguthaben und Wertschriftenanlagen. Daneben gibt es die gebundenen Mittel – etwa die in der Liegenschaft gebundenen Eigenmittel – sowie die persönlichen Vorsorgegelder, also das Pensionskassenguthaben und die Gelder der privaten Vorsorge in der Säule 3a oder in Versicherungspolicen. Diese Mittel sind erst nach der Pensionierung, dem Vertragsablauf oder dem Verkauf des Eigenheims verfügbar.
Die frei verfügbaren Mittel sorgen für den finanziellen Spielraum und ermöglichen die Erfüllung von kurz- und mittelfristigen Wünschen und Zielen. «Sie sind aber auch notwendig im Ruhestand», sagt Brandenburger. «Denn das Einkommen durch Renten ist nach der Pensionierung in der Regel um 30 bis 50 Prozent tiefer als der frühere Lohn. Der Verzehr von freien Vermögenswerten ist also meist notwendig, um Ausgabenüberschüsse zu decken und den gewohnten Lebensstandard halten zu können.» Die Balance zwischen freien und gebundenen Mitteln gilt es somit im Blick zu behalten.
3 – Eruieren Sie Ihre finanziellen Ziele und Bedürfnisse.
Möchten Sie allenfalls vorzeitig in den Ruhestand gehen? Welche Pläne haben Sie nach Ihrer Pensionierung? Wollen Sie auf Reisen gehen oder andere besondere Projekte oder Investitionen realisieren? Zu einer finanziellen Gesamtschau vor dem Entscheid über eine freiwillige Amortisation gehört auch die Evaluierung persönlicher Wünsche und Bedürfnisse samt der zugehörigen Kosten. Finanzexperte Brandenburger erwähnt noch eine weitere Möglichkeit: «Sofern Einkaufspotenzial besteht, kann durch freiwillige Einkäufe in die Pensionskasse die persönliche Altersleistung gestärkt werden. Zudem resultieren dabei steuerliche Vorteile. Sie sind besonders in den letzten acht bis zehn Jahren vor der Pensionierung attraktiv.» Steuerlich abzugsfähig sind auch Einzahlungen in die Säule 3a bis zum gesetzlichen Maximum pro Jahr.
4 – Prüfen Sie Wertschriftenanlagen und machen Sie einen Renditevergleich.
Neben den bereits erwähnten Möglichkeiten sind auch Investitionen in Wertschriften eine Option, wenn freies Vermögen dafür vorhanden ist. Je nach persönlicher Risikoneigung und Anlagehorizont können Wertschriften finanziell und auch steuerlich attraktiver sein als freiwillige Amortisationen, da lediglich Zins- und Dividendenerträge versteuert werden müssen und der Schuldzinsabzug weiterhin getätigt werden kann. Roman Brandenburger ordnet ein: «Den Massstab liefert die erwartete Rendite: Wenn eine andere Vermögensanlage nach Abzug der Steuern besser rentiert, lohnt sich eine freiwillige Amortisation aus objektiven Überlegungen nicht.» Eine beispielhafte Kalkulation bietet das folgende Berechnungsbeispiel.
Renditevergleich
Aus finanzieller Sicht ist die Amortisation von Hypotheken nur dann sinnvoll, wenn die Nettorendite einer alternativen Vermögensanlage nach Steuern geringer ist als die Zinskosten der Hypothek unter Berücksichtigung des Schuldzinsabzuges. Die entscheidenden Faktoren sind somit der Zinssatz der Hypothek, die Grenzsteuerbelastung und die erwartete Rendite der Vermögensanlage.
Kosten der Hypothek | |
Hypothekarzinssatz | 2,00 % |
./. Reduktion infolge Schuldzinsabzug (Grenzsteuersatz 33 %)* | 0,65 % |
Hypothekarzinssatz nach Steuern | 1,35 % |
Rendite der Vermögensanlage (Anlagestrategie «Balance») | |
Langfristige Renditeerwartung (nach Kosten) | 3,00 % |
./. Steuern auf der direkten Rendite von 2,25% (Grenzsteuersatz 33 %)* | 0,75 % |
Erwartete Rendite nach Steuern und Kosten | 2,25 % |
In diesem Beispiel ist die Vermögensanlage finanziell attraktiver als die freiwillige Amortisation. * Der Grenzsteuersatz besagt, wie viel Prozent eines zusätzlich verdiensten Frankens in Form von Steuern an den Fiskus gehen. |
5 – Sichern Sie mit (energetischen) Renovationen den Marktwert Ihrer Immobilie.
Statt die Hypothek über die Amortisationspflicht hinaus zu reduzieren, kann es auch von Vorteil sein, das Eigenheim zu sanieren oder zu modernisieren. So kann der Marktwert erhalten oder sogar gesteigert und die Energiekosten können gesenkt werden. «Zu beachten ist dabei auch das 2022 in Kraft getretene revidierte Energiegesetz im Kanton Zürich, das neue Rahmenbedingungen für den Energieverbrauch und die Art der Heizung setzt», sagt Finanzplaner Brandenburger. Werterhaltende und energetische Massnahmen sind auch aus steuerlicher Optik interessant, da die Investitionen vom steuerbaren Einkommen in Abzug gebracht werden können.
6 – Überlegen Sie sich eine «Investition» in Ihre Nachkommen.
Die Bevölkerung in der Schweiz wird immer älter. Das hat auch Auswirkungen auf das (Ver-)Erben: 72 Prozent der Erben sind zum Erbzeitpunkt bereits über 50 Jahre alt. Oftmals hätten die Erben – insbesondere die direkten Nachkommen – in einem früheren Alter einen stärkeren Liquiditätsbedarf, etwa für die Ausbildung, den Bau oder Erwerb eines Eigenheims oder die Gründung eines eigenen Unternehmens. «Ist viel Liquidität vorhanden, bietet es sich allenfalls an, einen Teil des Vermögens zu Lebzeiten an die nächste Generation weiterzugeben in Form eines Erbvorbezuges oder einer Schenkung», sagt Roman Brandenburger. «Eine frühzeitige und umfassende Erbschaftsplanung ermöglicht es, den Handlungsspielraum optimal zu nutzen und dabei künftige Streitigkeiten zu vermeiden.»
Fazit – Machen Sie eine Finanzplanung als Grundlage für Ihre Entscheide.
Auch wenn emotionale Aspekte beim Thema Hypothek und Amortisation immer miteinbezogen werden müssen, lohnt es sich auf jeden Fall, eine solide Finanz- und Pensionierungsplanung mit vernetzter Betrachtung zu machen, davon ist Experte Brandenburger überzeugt. «Wer die hier genannten sechs Punkte durchgegangen ist, hat bereits eine solide Basis gelegt. Und für alle weiterführenden Beratungen stehen ich oder meine Kolleginnen und Kollegen aus der Finanzplanung gern zur Verfügung.»
Drei Tipps zur freiwilligen Amortisation
Eine Finanzplanung zeigt Ihnen auf, wann Sie welchen Teil Ihres Vermögens benötigen, um Ihre Bedürfnisse zu decken. Mittel, die Sie längerfristig nicht benötigen, sollten Sie ertragswirksam investieren.
Die freiwillige Amortisation Ihrer Hypothek ist wie eine Investition, die sich mit den Renditen und Laufzeiten anderer Anlagen vergleichen lassen. Dazu gehören etwa freiwillige Einkäufe in die Pensionskasse oder Wertschriftenanlagen.
Fällen Sie Ihren Entscheid auf einer soliden Basis. Lassen Sie sich dafür umfassend beraten und wägen Sie Chancen und Risiken genau ab. So fühlen Sie sich sicher und können mit Überzeugung zu Ihren finanziellen Handlungen stehen.