Schweizer Pensionskassenstudie 2019: So kann die 2. Säule gestärkt werden

Medienmitteilung vom 6. Juni 2019

  • Die 2. Säule wankt und der Handlungsbedarf ist dringend
  • Modellrechnungen zeigen: Künftige Rentenbezüger erhalten ohne Gegenmassnahmen wegen sinkender Umwandlungsätze im Schnitt 28% weniger Rente
  • Vorsorgeeinrichtungen haben erste Massnahmen eingeleitet; diese reichen jedoch nicht, um die Leistungslücke aus der 2. Säule zu schliessen
  • Ohne weitergehende Massnahmen sinken die Renten weiter massiv

Die Berufliche Vorsorge der 2. Säule in der Schweiz wankt und es besteht dringender Handlungsbedarf. Die Leistungen der 2. Säule sind in den letzten Jahren massiv gesunken und werden ohne weitere Massnahmen weiter sinken. Die aktuellen Resultate der 19. Pensionskassenstudie der Swisscanto Vorsorge AG zeigen, warum das Vorsorgesystem der 2. Säule auf tönernen Füssen steht und welche Massnahmen seitens Vorsorgeeinrichtungen dazu beitragen könnten, um einen weiteren Leistungsrückgang zu verhindern.

Reto Siegrist, Geschäftsführer Swisscanto Vorsorge AG, kommentierte: "Die angespannte Situation unseres Vorsorgesystems macht es immer dringlicher, dass die Vorsorgeeinrichtungen den vorhandenen Spielraum besser nutzen. Noch ist es nicht zu spät. Aber um die Leistungen aus der 2. Säule zu stabilisieren und langfristig zu sichern, müssen jetzt geeignete Massnahmen umgesetzt werden."

Die Umverteilung hält an: Rentner erhalten 2018 mehr Zins als Aktive

Aufgrund des schwierigen Anlagejahrs wurden 2018 die Sparguthaben der aktiv Versicherten mit rund 1,6% tiefer verzinst als diejenigen der Rentner mit 2,3%. Generell bleibt die Umverteilung von aktiv Versicherten zu Rentnern hoch angesichts der Pensionierungen mit überhöhten Umwandlungssätzen. Vor diesem Hintergrund sowie der demografischen Alterung der Gesellschaft und des seit längerem anhaltenden Tiefzinsumfeldes ist die politische Reform des Umwandlungssatzes von derzeit 6,8% im Obligatorium überfällig.

Der technische Zinssatz, der misst, wie hoch das zurückgestellte Vorsorgekapital erwartungsgemäss verzinst werden kann, scheint hingegen langsam den Boden gefunden zu haben und sich bei rund 2% einzupendeln. Über einen längeren Zeitraum betrachtet ist der technische Zinssatz jedoch massiv gesunken. Über alle Vorsorgeeinrichtungen hinweg sank er von einem Niveau von 3,5% im Jahr 2009 auf rund 1,9% im Jahr 2018.

Sinkende Umwandlungssätze führen zu massiven Rentenkürzungen - ohne Gegenmassnahmen verschärft sich der Trend

Der deutliche Rückgang des technischen Zinssatzes über die vergangenen zehn Jahre hat sich in tieferen Umwandlungssätzen niedergeschlagen. In den letzten zehn Jahren sanken die Umwandlungssätze um rund 1,0 Prozentpunkte auf durchschnittlich 5,7%. Wie die Studie zeigt, werden die Umwandlungssätze auch künftig weiter sinken. Bis ins Jahr 2023 wird ein durchschnittlicher Umwandlungssatz von 5,5% prognostiziert, und auch danach dürften die Umwandlungssätze weiter zurückgehen. Unter der Annahme, dass sich der technische Zinssatz tatsächlich bei rund 2% einpendelt, beliefe sich der aktuarisch korrekte Umwandlungssatz auf 4,9%.

Nimmt man diesen Wert als Berechnungsgrundlage für künftige Renten, tun sich gewaltige Leistungslücken in der Vorsorge der 2. Säule auf. Ein Arbeitnehmer, der heute in einen Vorsorgeplan einer Kasse eintritt, die keine Gegenmassnahmen ergriffen hat, muss in 40 Jahren mit einer Rente auskommen, die 27,9% tiefer liegt als in einem Vorsorgeplan, der vor zehn Jahren gültig war.1

Um diesem Rückgang entgegenzuwirken, haben viele Vorsorgeeinrichtungen eigenständig erste Massnahmen ergriffen. Die Analyse einer Vergleichsgruppe zeigt, dass seit 2010 die Sparziele durch eine längere Beitragsdauer und grössere Sparbeiträge um durchschnittlich 17,6%2 erhöht wurden. Damit kann der Rückgang von 27,9% aber lediglich abgefedert werden. Auf das obige Beispiel angewendet, heisst das konkret: Es bleibt eine Leistungslücke von 15,2% im Vergleich mit einem Vorsorgeplan, der vor zehn Jahren gültig war.

Wie liesse sich diese verbleibende Leistungslücke schliessen? Nötig wäre beispielsweise eine weitere Erhöhung des Sparbeitrags um 17,9%, eine Verlängerung der Beitragsjahre um 7,2 Jahre oder die Senkung des Koordinationsabzugs um CHF 6'000 - oder eine gezielte Kombination von Massnahmen in diesen drei Bereichen. Ergänzend zu diesen Massnahmen muss zur Stabilisierung der Renten auch der Spielraum auf der Anlageseite besser ausgenutzt werden.

Träge Asset Allokation der Pensionskassen trotz verschärfter Tiefzinssituation

Obwohl sich die Tiefzinsphase verschärft hat, hat sich die Asset Allokation der Vorsorgeeinrichtungen in den letzten Jahren insgesamt relativ wenig verschoben. So erhöhte sich der Aktienanteil am Gesamtvermögen der Vorsorgeeinrichtungen trotz dem langjährigen Bullenmarkt im Durchschnitt nur leicht -von 27% im Jahr 2009 auf 29% im Jahr 2018. Stärkere Verschiebungen waren auf Seiten der zinssensitiven Anlagen zu beobachten. So sank der Anteil an Obligationen aufgrund der geringen Rendite von 39% auf 31%, während der Immobilienanteil im selben Zeitraum um rund 6 Prozentpunkte auf 25% anstieg.

Die Unterschiede akzentuieren sich, wenn differenziert wird zwischen grossen und kleineren Vorsorgeeinrichtungen. So haben grosse Pensionskassen, die über CHF 5 Mrd. verwalten, ihren Obligationenanteil um fast die Hälfte auf 16% zurückgefahren; sie halten damit deutlich weniger Obligationen als kleine Kassen mit weniger als CHF 500 Mio. an verwalteten Vermögen, bei denen sich der Obligationenanteil noch auf 23% beläuft. Die Studie zeigt damit, dass grössere Pensionskassen bei der Asset Allokation agiler auf veränderte Marktbedingungen reagieren als kleinere.

Hoher Immobilienanteil als zunehmendes Risiko - Immobiliennahe Branchen mit doppeltem Risiko

Insgesamt haben die Vorsorgeeinrichtungen im Durchschnitt in den letzten zehn Jahren ihren Immobilienanteil trotz Warnungen vor zunehmenden Risiken um einen Drittel von 19% auf 25% erhöht. Damit liegt der Immobilienanteil in der Schweiz deutlich höher als im internationalen Vergleich.

Auffallend hohe Immobilienrisiken gehen Vorsorgeeinrichtungen von Branchen ein, die eine hohe Abhängigkeit vom Immobilienmarkt aufweisen. Beispielhaft dazu die Immobilienanteile der Branchen Bergbau (33%), Grundstückswesen (31%) oder Baugewerbe (29%). Diese Neigung, in branchennahe Anlagen zu investieren, erhöht das Risiko bei einem allfälligen Abschwung.

Problematisch ist aus Risikosicht insbesondere auch die starke Konzentration auf Immobilien in der Schweiz. Eine Verbesserung der Diversifikation -nicht nur im Immobilienbereich -tut Not, so eine Erkenntnis der Studie.

Riesige Unterschiede bei den Renditen - Spielraum wird nicht optimal genutzt

Die Pensionskassen haben ein schwaches Anlagejahr hinter sich. Mit einer durchschnittlichen Performance von -2,8% (Vorjahr +7,6%) war das vergangene Jahr das schlechteste Anlagejahr für die Pensionskassen seit zehn Jahren. Die enttäuschende Rendite lag damit deutlich unter der durchschnittlichen Zielrendite der Vorsorgeeinrichtungen von 3%. Dabei sind enorme Unterschiede festzustellen: Die schlechteste erzielte Rendite lag 2018 bei -8,2% und die beste bei +11,0%. Das Muster einer starken Streuung der Renditen lässt sich auch über einen längeren Anlagehorizont von zehn Jahren feststellen.

Diesbezüglich zeigt die aktuelle Pensionskassenstudie, dass die grösseren Vorsorgeeinrichtungen mit mehr als CHF 500 Mio. verwalteten Vermögen eine bessere Anlageperformance aufweisen. Dies sowohl im letzten Jahr mit -2,6% gegenüber -3,1% von Kassen mit weniger als CHF 500 Mio. verwalteten Vermögen, als auch über einen Zeitraum von zehn Jahren mit einer jährlich annualisierten Rendite von 4,6% gegenüber 4,1%. Ein solch struktureller Renditeunterschied kumuliert sich über ein ganzes Arbeitsleben zu massiven Unterschieden in den Renten.

Auffällig ist auch: Gemessen an ihrer Risikofähigkeit verzichten viele Kassen aufgrund einer allzu starken Risikoaversion auf Renditechancen. So zeigt die Studie, dass gerade Pensionskassen mit einem guten demografischen Verhältnis ihre Risikofähigkeit nicht ausnutzen. Sie erzielten mit einer annualisierten Rendite über zehn Jahre von 4,1% eine geringere Performance als Kassen mit einem schlechteren Verhältnis von Aktiven zu Rentnern, die eine Rendite von 4,5% erwirtschafteten. Durch eine bessere Ausnutzung der Risikofähigkeit und dadurch höhere Renditen liesse sich zumindest ein Teil des Leistungsrückgangs in der 2. Säule kompensieren – und dies ohne zusätzliche Kosten für die Versicherten.

Iwan Deplazes, Leiter Asset Management Swisscanto Invest by Zürcher Kantonalbank, sagt dazu: "Die Erwirtschaftung angemessener Renditen ist zentral für die langfristige Sicherung der Renten. Damit dies gelingt, müssen die Vorsorgeeinrichtungen ihre Risikofähigkeit künftig vollständig ausnutzen und ihre Investitionen stärker über alle Anlageklassen diversifizieren. Bereits eine jährliche Zusatzrendite von 0,7% könnte die Leistungslücke von 15,2% schliessen."

1 Dies unter der Annahme eines Realzinses von 0% (Nominalzins = Lohnwachstum). In der Vergangenheit war der Realzins jedoch grösser als 0%
2 Auf Basis von altersunabhängigen Sparbeiträgen